Besuch bei... Mario Forberg von der Dresdner Chemiefabrik

Kultur im zweiten Lockdown – wie geht´s weiter? Augusto fragt Veranstalter und Künstler, wie sie mit der neuen Lage umgehen.

Von Tom Vörös
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Mario Forberg ist einer der kreativen Köpfe des Szeneclubs Chemiefabrik in der Dresdner Neustadt. © PR/Chemiefabrik

Alles auf Anfang, Kulturstätten zu, Veranstaltungen abgesagt, Stille auf den Bühnen und in den Sälen. Alles auf Anfang? Mitnichten. Die Lage ist eine andere als im März und April. Damals herrschte zumindest anfangs weitgehende Einigkeit unter Veranstaltern und Künstlern, dass das Opfer ein notwendiges ist. Das ist in diesem tristesten November aller Zeiten nicht mehr so. Augusto hat vor acht Monaten Gespräche mit 35 Veranstaltern und Künstlern geführt. Wir knüpfen daran an und fragen erneut nach dem Umgang mit dem Stillstand im Kulturbetrieb – und natürlich nach der Zukunft. Mitte November 2020: Mario Forberg von der Dresdner Chemiefabrik.

Noch immer leer, aber betriebsbereit - die Dresdner Chemiefabrik.
Noch immer leer, aber betriebsbereit - die Dresdner Chemiefabrik. © PR/Chemiefabrik

Was ist in diesem Lockdown anders als im Frühjahr?
Es ist ein Teillockdown. Es ist Herbst und ich habe immer noch "Berufsverbot". Wir haben gelernt, mit der Situation umzugehen. Ich empfinde die Grundsicherung in Form des ALG 2 als einzige Quelle des Einkommens für Selbstständige und deren Familien aus den betreffenden Branchen mittlerweile als ein Schlag ins Gesicht und durchaus unverschämt.

Sind die Maßnahmen gerechtfertigt? Gibt es viel Frust?
Ob sie gerechtfertigt sind oder nicht werden wir alle am Ende der Pandemie sicher besser wissen. Ich habe weder beruflich noch hobbymäßig in irgendeiner Form mit den Themengebieten Virologie/Epidemologie zu tun, deshalb ist es für mich persönlich unlogisch, die Maßnahmen anzuzweifeln, da ich dieses dann nicht mit Fachwissen untermauern kann. Dies kann auch als kleiner Tipp an alle da draußen verstanden werden die sich erwählt fühlen, hier eine Verschwörung zu wittern. Ja klar gibt es auch Frust, vor allem wenn man seinen Job liebt und ihn nicht ausführen darf. Und dass es bis jetzt keine fairen Hilfen in Form eines Lohnausgleichs für Selbstständige gibt. Und man darf nicht vergessen: wir sprechen hier von bisher einem halben Jahr Arbeitsverbot für die Branche und es ist nicht abzusehen, wann wir wieder arbeiten und Geld verdienen können. Und wenn wir wieder arbeiten dürfen: welche unserer Partner (Clubs, Agenturen, Bands, Künstler etc. ) existieren dann überhaupt noch und welche sind bis dahin finanziell ruiniert?

Was macht Ihnen überhaupt noch Hoffnung im Moment?
Meine Kinder, meine Familie und die Freunde da draußen. Die tägliche Hoffnung, dass nach all den Monaten dann endlich doch einmal Hilfen in Form der Hilfsprogrammen für die Veranstalterbranche an den Start gebracht werden.

Inwieweit helfen die 75 Prozent vom Staat für den November, wenn man sie denn bekommt?
Wenn sie kommt und dies auch für jeden aus den betroffenen Branchen: ja, dann ist dies die für mich erste reale Hilfe. Aber wir dürfen uns hierbei nicht blenden lassen, diese Hilfe ist für den Monat November 2020. Veranstaltungen wie wir sie kennen und bei uns durchführten sind vorerst nicht in Sichtweite. Also was passiert, wenn wir bis Sommer/Herbst 2021 nicht unserer gewohnten und lang sowie mühevoll aufgebauten Arbeit nachgehen können?

Was erhoffen Sie sich von 2021?
Dass meine Familie und Ihr alle da draußen gesund seid. Dass wir das Ganze wirtschaftlich überlebt haben. Dass die Welt wieder soweit rund läuft und dass wir unserer Arbeit zu 100 Prozent wieder nachgehen können. Und natürlich: dass sich diese „Hygienedemos“ ins Nichts verabschieden mit all derer Protagonisten. Empathie als neuen Impfstoff. Dass Seenotrettung und Menschen helfen kein Vergehen mehr darstellt.

Wie nutzt die Chemiefabrik die frei gewordene Zeit?
Seit Anfang März mussten wir umdenken und Wege finden, uns kreativ mit der Situation auseinander zu setzen. Dies erfolgte dann in mehreren Livestreams sowie dem Sommerprojekt Kulturbiergarten. Was zu einem kleinem Sommermärchen wurde, da wir es unter den Bedingungen und Regeln geschafft hatten, zusammen mit vielen Freunden und neuen Gästen den Sommer im Biergarten gemeinsam gestalten zu können. Es war einfach nur schön. Es wird an vielen kleinen Ideen und Projekten gefeilt, um viele Möglichkeiten zu haben, auf verschiedene Situationen mit Hygienekonzepten zu reagieren und kreativ Dinge umsetzen zu können. Weiterhin nutzen wir die Zeit, um bautechnische Maßnahmen im Klub durchzuführen, der komplette Toilettentrakt ist im barrierefreien Umbau, nur um ein Beispiel zu nennen. Es darf natürlich nicht vergessen werden, dass diese Situation uns natürlich auch täglich Kraft und Energie abringt bei der Arbeit zum Erhalt des Klubs sowie der Arbeitsplätze, die daran hängen. Die Planung und alles, was Büroarbeit bedeutet geht ja weiter. Und ganz klar: die frei gewordene Zeit verbringe ich mit meiner Familie.

Mit welchen Überraschungen dürfen Fans in der Vorweihnachtszeit noch rechnen?
Es wären keine Überraschungen, wenn ich hier und heute auspacken würde. Nur so viel kann ich sagen: natürlich machen wir uns Gedanken, welche Zeichen wir senden können. Wir haben einige Ideen in petto. Das große ABER ist ja bekannt: Nichts ist derzeit sicher planbar. Also lassen wir uns alle überraschen!

Wird es eine Fortsetzung des Chemiefabrik-Fernsehgartens oder andere Streaming-Angebote geben?
Nachdem ich das Aktuelle Kochstudio beendet hatte war im Kopf schon der Chemiefabrik Fernsehgarten. Natürlich haben ich und wir als Team schon die eine und andere verrückte Idee in der Schublade. Vor allem dass diese Streamings gut angekommen sind motivieren zum Weitermachen. Also bleibt gespannt.

Wie schätzen Sie die Lage generell für Dresdner Clubs gerade ein?
Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich froh sagen zu können, dass wir als Klubnetz Dresden keinen Klub im Verbund haben, der vor dem Aus steht (dreimal auf Holz geklopft). Daran hat einen ganz großen Anteil die wahnsinnige unfassbare Spendenbereitschaft der Gemeinschaft unsere Gäste und Fans. DANKE! Für die nächsten Wochen und Monate kann keiner vorhersagen, wie es um die Klubs stehen wird. Hierbei kommt es vor allem darauf an, wie weitere sinnvolle Unterstützungen seitens der Bundesregierung bzw. des Landes Sachsen und der Stadt Dresden laufen. Wichtig ist, dass wir alle schnell wieder die Möglichkeit haben, Kultur und menschliches Beisammensein zelebrieren zu dürfen.

Wie kann, aus momentaner Sicht, die Zukunft der Chemiefabrik aussehen?
An den Zukunftsplänen der Chemiefabrik hat sich nichts Grundlegendes geändert. Wir hoffen, dass die Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Chemiefabrik rückwirkend betrachtet irgendwann nur ein kleiner Ausschnitt in der Geschichte des Klubs sein wird. Solange die Pandemie die Regeln bestimmt, wird es für Drinnen und Draußen Hygienekonzepte geben, um die Zeit bis zur Normalität vernünftig mit euch zusammen zu überbrücken. Wenn wir vom Format der Chemiefabrik sprechen wird sich im Anspruch an Kultur und dem Miteinander nichts ändern. Es wird neue, größere Toiletten sowie ein barrierefreies WC geben, die Bar bekommt ein Facelifting und viele kleine neue Dinge wird es zu entdecken geben. Zusammenfassend gesagt: Sie soll bunt, aufregend und miteinander gestaltend sein, die Zukunft.

Gespräch: Tom Vörös

Alle aktuellen Interviews dieser Reihe finden Sie hier:

Besuch bei...Veranstaltern und Künstlern im zweiten Lockdown

Vor acht Monaten im ersten Lockdown sprachen wir schon einmal mit Mario Forberg. Hier das damalige Interview:

Anruf bei... Mario Forberg am 31. März 2020

Damals sprachen wir mit noch vielen weiteren Veranstaltern und Künstlern. Hier die komplette Reihe:

Anruf bei Veranstaltern, Künstlern und Gastronomen in der Corona-Krise