Besuch bei... Lutz Hillmann, Intendant des Theaters Bautzen

Kultur im zweiten Lockdown – wie geht´s weiter? Augusto fragt Veranstalter und Künstler, wie sie mit der neuen Lage umgehen.

Besuch bei... Lutz Hillmann, Intendant des Theaters Bautzen
Lutz Hillmann ist seit den 90er Jahren Intendant am Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen. © Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen/Wolfgang Wittchen

Alles auf Anfang, Kulturstätten zu, Veranstaltungen abgesagt, Stille auf den Bühnen und in den Sälen. Alles auf Anfang? Mitnichten. Die Lage ist eine andere als im März und April. Damals herrschte zumindest anfangs weitgehende Einigkeit unter Veranstaltern und Künstlern, dass das Opfer ein notwendiges ist. Das ist in diesem tristesten November aller Zeiten nicht mehr so. Augusto hat vor acht Monaten Gespräche mit 35 Veranstaltern und Künstlern geführt. Wir knüpfen daran an und fragen erneut nach dem Umgang mit dem Stillstand im Kulturbetrieb – und natürlich nach der Zukunft. Anfang November 2020: Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen.

Das Deutsch-Sorbische Volkstheater in Bautzen.
Das Deutsch-Sorbische Volkstheater in Bautzen. © Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen/Brigitte Zimmermann

Der Lockdown trifft zum zweiten Mal das Bautzener Theater. Wie geht man als Intendant mit so einer Botschaft um?
Ich muss zugeben, dass ich emotional auf einem Tiefpunkt bin. Unser Theater ist seit 1945 niemals außerhalb der Theaterferien geschlossen worden. Im März war es schon schlimm. Jedoch ist die Situation dieses Mal anders. 

Warum? 
Wir haben Erkenntnisse über die Pandemie, wir wissen, wie sich das Virus verbreitet. Ja, vielleicht ist das alles noch nicht ausreichend, aber es gibt dieses Wissen. Die Theater haben ausgefeilte Hygienekonzepte, die auf diese empirischen Erfahrungen eingehen. Mit riesigen Aufwendungen – nicht nur in Bautzen, sondern an allen deutschen Theatern - wurden Bedingungen geschaffen, die Theater und Orchestersäle zu den sichersten öffentlichen Plätzen machen.

Von welchen Maßnahmen reden wir da?
In unseren Häusern haben wir Einbahnstraßenregelungen eingerichtet, jede zweite Reihe aus dem Saal ausgebaut und die Theatergastronomie anders organisiert. Die Garderobe ist streng reglementiert. Es gibt Toneinspielungen und Aufsteller zu unserem Hygienekonzept. Überall stehen Desinfektionsspender. In Sachsen gab es in Größenordnungen Investitionen in Lüftungs- und Filteranlagen, Zuschauerräume wurden umgebaut. Theater haben für diese Maßnahmen sechsstellige Summen zusätzlich gestemmt, manche haben sogar Luftionisierungsanlagen eingebaut, was die Innenräume der Theater sicherer macht als Außenplätze. Trotzdem erhalten Theater neben anderen Kultureinrichtungen nun ein Veranstaltungsverbot. Und das ist nicht sehr motivierend. Wir, zum Beispiel der Deutsche Bühnenverein, haben im Vorfeld darauf hingewiesen, wie sicher Theater sind. Ich habe unsere Landesregierung kontaktiert, aber wir haben kein Gehör gefunden, sondern sind im Sinne der Gleichmacherei weggebürstet worden.

Was hätten Sie sich stattdessen gewünscht?
Ich hätte mir selbst eine weitere Verschärfung unseres Hygienekonzepts vorstellen können, nur um weiterzuspielen. Die Theaterleute ganz Deutschlands haben doch alles mitgetragen. Es hat in unseren Häusern nie einen Anflug von Zweifeln an den Corona-Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung gegeben, wir haben sie für unser Publikum verteidigt und umgesetzt. Wir hatten Vertrauen und die Überzeugung, zusammenstehen zu müssen. Ich weiß nicht, ob das so bleiben wird, wenn man mit dem Theater so umgeht – mit der vielen unglaublichen Mühe und Arbeit, die hier hineingesteckt wurde – und dem nachweisbaren Erfolg, den das hatte.

Welche Konsequenzen hat der November-Lockdown?
Der November ist einer der veranstaltungsreichsten Monate. Wir sagen 82 geplante Vorstellungen und zahlreiche theaterpädagogische Angebote ab. So verlieren wir nicht nur Einnahmen, sondern unsere Zuschauer und die Bindung an unser Haus. Zudem müssen wir uns organisatorisch umstellen. Wir verschieben Premieren, müssen aber das laufende Repertoire spielbereit halten, für die Vorstellungen, die hoffentlich wieder im Dezember laufen. Wir müssen einen Spielbetrieb simulieren, weil uns sonst die laufenden Vorstellungen absacken.

Im Frühling gab es am Theater Kurzarbeit. Wie sieht es jetzt aus?
Wir werden in Teilen in Kurzarbeit gehen. Das werden die anderen Theater auch machen, umso unverständlicher ist dieser Kahlschlag. Es wird Unsummen kosten, die nach meiner Überzeugung nicht notwendig gewesen wären. Das Ganze ist sehr demotivierend für alle Theaterleute. Zu unserer Arbeit gehört Laune, Enthusiasmus und Glaube in die Zukunft. Natürlich, das ist in vielen Bereichen so, aber im Theater ganz besonders – und wir brauchen Publikum. Ohne Publikum sind wir nichts.

Das klingt nach einer düsteren Vision für Theater....
Ja, ich habe große Sorge, wie es nach Corona mit den Theatern und allgemein mit der Kultur weiter geht, wenn sie jetzt so stiefmütterlich behandelt werden. Es steht zu befürchten, dass das so bleibt, wenn wir die ganzen Schulden - gesellschaftlich - wieder abarbeiten müssen. Das kann den Theatern und der Kultur, die zu den sogenannten freiwilligen Leistungen in den öffentlichen Haushalten gehören, teuer zu stehen kommen. Wir müssen uns große Mühe geben, dass wir dieses Weltkulturerbe, diese einmalige Theaterlandschaft Deutschlands mit privaten und staatlichen Häusern, bewahren können.

Wie werden Schauspiel und Puppentheater die verordneten Zwangspause nutzen?
Wir werden ganz normal weiterproben und Premieren vorbereiten. Wir werden Vorstellungen ohne Publikum spielen, nur für uns, damit sie frisch bleiben. Denn im Dezember brauchen wir diese Produktionen, wenn wir hoffentlich wieder aufmachen. Wir müssen mit der neuen Corona-Schutzverordnung schauen, wo wir ganz konkret eingeschränkt sind, zum Beispiel ob wir die „Hummel Hanna“ oder das Bauhausprojekt „Die Reise zum Mittelpunkt des Raumes“, so wie geplant außerhalb in Kindereinrichtungen spielen können. Ansonsten werden wir warten, wann wir wieder spielen dürfen – und dann die Premieren von „Schneekönigin“ und „Räuber Hotzenplotz“ nachholen.

Wie wirkt sich das Aus im November auf den Spielplan im Dezember aus?
Zuerst werden wir erst einmal schauen, wie viele Zuschauer ab Dezember in unsere Säle dürfen. Für das Kinderweihnachtsstück „Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“ zum Beispiel haben wir im Dezember gut 6.000 Vorbestellungen durch Schulen, denen wir gern den Theaterbesuch ermöglich wollen. Deshalb haben wir das Stück bereits so umgearbeitet, dass wir es zweimal vormittags spielen können. Wir fangen früher an und spielen ohne Pause. Wir versuchen alles, aber es hängt davon ab, wie das neue Hygienekonzept dann aussehen kann, wie viel Zuschauerkapazität künftig zulässig ist. Bisher hatten wir übrigens für unsere Maßnahmen vonseiten der Zuschauer absolutes Verständnis, sie waren sehr diszipliniert, nur um das Theater aufrecht zu erhalten.

Was wünschen Sie sich künftig von der Politik im Umgang mit Corona und Kultur?
Man muss doch mal die Frage stellen: Wenn ich versuche mit allen Mitteln Leid zu vermeiden und - das ist auch anerkennenswert - wieviel Leid erzeuge ich damit auf der anderen Seite? Das sollte gegeneinander aufgewogen werden. Zudem halte ich nichts von flächendeckenden Maßnahmen. Föderalismus hat die Stärke, überlegt und lokal auf Dinge zu reagieren. Ich muss verstehen, was Politiker machen, da muss Logik herrschen. Davon wird der Erfolg der Bekämpfung der Pandemie abhängen. Wenn ich die Maßnahmen nicht mehr verstehen kann, mache ich widerwillig oder gar nicht mit. Deshalb wünsche mir künftig differenziertere Entscheidungen. 

Gespräch: Miriam Schönbach

Alle aktuellen Interviews dieser Reihe finden Sie hier:

Besuch bei...Veranstaltern und Künstlern im zweiten Lockdown

Vor acht Monaten im ersten Lockdown sprachen wir schon einmal mit Lutz Hillmann. Hier das damalige Interview:

Anruf bei... Lutz Hillmann am 25. März 2020

Damals sprachen wir mit noch vielen weiteren Veranstaltern und Künstlern. Hier die komplette Reihe:

Anruf bei Veranstaltern, Künstlern und Gastronomen in der Corona-Krise